Maria Stuart – ein Paradebeispiel der Weimarer Klassik
Was haben zwei rivalisierende Königinnen, Machtspiele und ein tödliches Urteil mit der Weimarer Klassik zu tun? Auf den ersten Blick wirkt Friedrich Schillers Maria Stuart wie ein historisches Drama voller Intrigen – und doch steckt viel mehr dahinter. Im Deutschunterricht haben wir uns intensiv mit diesem Werk beschäftigt und schnell wurde klar: Maria Stuart ist nicht nur ein politisches Drama, sondern ein literarisches Meisterwerk und Paradebeispiel der Weimarer Klassik.
Das Tragödie Maria Stuart spielt im England des 16. Jahrhunderts und behandelt die letzten Tage der schottischen Königin Maria Stuart. Seit ihrer Flucht aus Schottland aufgrund ihrer Beteiligung am Mord ihres Gattens, befindet sich Maria in Gefangenschaft auf dem Schloss Fotheringhay in England, unter der Herrschaft ihrer Cousine Elisabeth I. Der Grund: Maria hat einen Anspruch auf den englischen Thron als legitime Urenkelin der Königsfamilie, wobei Elisabeth hingegen nur eine uneheliche Tochter ihres Vaters – des vorherigen Königs Englands – ist. Elisabeth befürchtet, dass Maria einen Anspruch auf den Thron erheben wird. Die englischen Katholiken insbesondere sehen sie, eine Mitkatholikin, als rechtmässige Königin. Elisabeth sieht in ihr eine Gefahr für die eigene Macht und lässt sie deshalb überwachen und schliesslich wegen Hochverrats anklagen.
Die Handlung beginnt zu einem Zeitpunkt, an dem Maria bereits lange in Haft lebt. Ihr Schicksal scheint besiegelt, doch es gibt politische und persönliche Spannungen, die das Urteil hinauszögern – rund um Elisabeth und Maria entwickeln sich Intrigen und heimliche Pläne. Der junge Adlige Mortimer – der Neffe Paulets, der Wächter Marias – etwa will Maria befreien, da er sich in sie verliebt hat. Er ist bereit, alles für sie zu riskieren – bis hin zur Gewalt. Auch Graf Leicester, ein Unterstützer Elisabeths, ist innerlich zerrissen zwischen den beiden Frauen: politisch Elisabeth verpflichtet, aber emotional Maria zugeneigt.
Maria selbst erscheint zunächst kraftvoll und kämpferisch. Sie hofft auf ein faires Gerichtsverfahren oder Gnade. Doch als ihre Lage aussichtsloser wird, beginnt sie, sich zu verändern. In der Peripetie des Dramas im 3. Akt, als sie Elisabeth – scheinbar zufällig – im Schlosspark trifft, versucht sie, mit Mut und Würde ihre Rivalin zur Gnade zu überzeugen. Das Gespräch eskaliert jedoch, weil Maria die Haltung verliert und Elisabeth beleidigt. Damit verspielt sie ihre letzte Chance auf Rettung.
Elisabeth wiederum steht vor einer schwierigen Entscheidung: Einerseits will sie Maria aus dem Weg räumen, andererseits fürchtet sie, durch ihre Hinrichtung als grausame Herrscherin wahrgenommen zu werden. Sie fühlt sich dem Druck ihrer Berater und des Volkes ausgesetzt und ringt mit ihrer Rolle als Herrscherin und Mensch. Am Ende unterschreibt sie das Todesurteil, übergibt dies allerdings ihrem Sekretär Davison ohne klare Anweisungen, um selbst keine Schuld auf sich zu laden.
Maria wird schliesslich zum Tode geführt. Doch sie begegnet ihrem Schicksal nicht mit Angst, sondern mit Würde, Gelassenheit und einem neuen inneren Gleichgewicht. Sie hat in ihrer Gefangenschaft mit sich selbst Frieden geschlossen und erkennt die Sinnlosigkeit des Machtkampfes. Ihre innere Entwicklung – von der empörten Königin zur selbstbestimmten Frau – ist zentrales Thema des Dramas und verkörpert Schillers Ideal der moralischen Entwicklung eines Menschen zu einer «Schönen Seele». Mit ihrem Tod wird Maria zum moralischen Sieger der Geschichte, während Elisabeth mit ihrer Schuld zurückbleibt.
Maria Stuart ist eines der bekanntesten und massgebendsten Werke der Weimarer Klassik. Diese war keine reine literarische Stilrichtung, sondern eine umfassende kulturelle und geistige Bewegung. Sie versuchte, das Beste aus Aufklärung und Sturm und Drang zu vereinen – also verstand und Gefühl, Ordnung und Freiheit, Pflicht und Neigung. Ihr Ziel war die Veredelung des Menschen und die Bildung einer moralischen und humanen Gesellschaft.
Schon in der Ausgangslage des Dramas kann man Themen der Weimarer Klassik erkennen: namentlich die Idealisierung der Realität – Menschen werden nicht gezeigt, wie sie sind, sondern wie sie sein sollten. In Maria Stuart zeigt sich das durch unsere Hauptfigur, Maria. Das Drama bezieht sich auf wahre historische Hintergründe – einige Dinge ändert Schiller aber ab. So war historisch gesehen Maria Stuart wahrscheinlich tatsächlich mitschuldig an den Komplotten gegen Elisabeth, im Drama idealisiert sie Schiller jedoch – Maria wird fälschlich angeklagt, ist unschuldig, rein und entwickelt sich zu einer ethischen Heldin. Das demonstriert, dass die Weimarer Klassik nicht einfach abbilden will, sondern verbessern, was in der Welt ist – sie zeigt die Vision des Menschen als besseres Wesen.
Zentrales Thema des Dramas ist Marias innere Wandlung zur «Schönen Seele» über den Verlauf des Stückes. Maria beginnt das Drama Stolze Königin – sie hegt immer noch politische Hoffnungen und ist trotzig ihrem Schicksal gegenüber. Marias Konfrontation mit Elisabeth im 3. Akt – die Peripetie des Dramas – demonstriert das gut. Sie versucht mit Würde, Königin zu Königin, auf Elisabeth einzuwirken und sie zur Gnade zu überzeugen. Als dies scheitert, verliert Maria die Haltung und beleidigt Elisabeth, was ihr Schicksal besiegelt.
Im Verlauf des Dramas ändert sich Maria aber. Sie findet sich mit ihrem Schicksal ab. Maria erkennt ihre Schuld und bereut Fehler, wird aber nicht verbittert. Sie nimmt Verantwortung für ihr Leben und ihr Scheitern. Sie überwindet ihren Stolz, reflektiert ihre Fehler und akzeptiert ihr Schicksal. Genau dadurch wird sie zur moralisch überlegenen Figur – dem moralischen Sieger des Dramas – obwohl sie äusserlich «verliert», hingerichtet wird. Maria findet zu sich selbst, und trifft ihr Ende mit Ruhe und Würde.
So wird Maria zur «Schönen Seele». Der Begriff stammt von Schiller selbst; er beschreibt einen Menschen, bei dem moralische Pflicht und emotionale Neigung nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen, sondern in Harmonie sind. Die Schöne Seele handelt gut, nicht aus Zwang oder Vernunft, sondern aus innerer Überzeugung. Sie will das Gute, weil sie es als richtig empfindet.
Der Fall Maria bringt Pflicht und Neigung so in Harmonie: Maria erkennt ihre Verantwortung an – für ihr Leben, für ihre Fehler, für ihre Schuld. Sie nimmt das Todesurteil an, ohne zu rebellieren oder Schuld anderen zuzuschreiben. Gleichzeitig bleibt Maria ein emotionaler Mensch – sie liebt, leidet und hofft – lernt aber, ihre Gefühle nicht gegen ihre Vernunft zu stellen, sondern mit ihr zu vereinen. Sie verzichtet freiwillig auf Flucht und verzeiht Elisabeth innerlich – Sie stirbt ohne Hass, sondern in innerem Frieden.
Im Gegensatz zu Maria, die am Ende des Dramas innerlich gereift und in Frieden stirbt, bleibt Elisabeth innerlich zerrissen – trotz ihres äusseren Sieges. Sie erreicht keine Harmonie zwischen Pflicht und Gefühl, sondern handelt aus Angst, Machtkalkül und Unentschlossenheit. Ihre Pflicht als Königin wäre es, klar und gerecht zu entscheiden – entweder Maria freizusprechen oder offen zu ihrer Hinrichtung zu stehen. Ihre Neigung hingegen ist von Eitelkeit, Unsicherheit und Machtinteressen geprägt. Sie fühlt sich durch Marias Thronanspruch bedroht, beneidet Maria um ihre Schönheit und emotionale Stärke und fürchtet gleichzeitig den politischen und moralischen Schaden, den eine Hinrichtung anrichten könnte. Schlussendlich kann sich Elisabeth nicht zur klaren Entscheidung durchringen – sie unterschreibt das Todesurteil, schiebt aber die Verantwortung feige auf ihren Sekretär Davison ab. Elisabeth steht so im klaren Kontrast zu Maria – sie ist keine «schöne Seele».